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Hunde unter sich

Hunde tragen einen Schlüssel zum menschlichen Herzen in sich. Wenn sie mit ihrer Anwesenheit den Menschen nicht überfordern, was auch manchmal der Fall sein kann, dann fördern sie ihn als Therapeuten des Herzens, welcher die in Stücke geschlagene Welt auf natürliche Weise wieder zusammenfügen kann.

In diesem Sommer war ich in meiner Eigenschaft als Biologin in einem Tierheim in Norditalien tätig. Dort habe ich eine Gruppe von Hunden in einem Freigehege beobachtet um ihre Verhaltensweisen zu erforschen wenn sie unter sich sind, ohne Beeinflussung von – beziehungsweise ohne Bezogenheit auf – den Menschen. Das war eine entspannende und höchst interessante Unternehmung. Mein Umfeld, vor allem Personen aus der Hundefachwelt, waren skeptisch. Sie meinten: „Was willst du denn da beobachten?“ – in dem Sinne, dass alles über das Verhalten von Hunden doch bereits bekannt sei.

Am ersten Tag kam ich mit fester Entschlossenheit mich selbst bestmöglich aus dem Geschehen heraus zu halten, um die Hunde in ihrem Verhalten untereinander ohne Beeinflussung durch den Menschen zu beobachten. Es war mein erster Lernschritt, dass dies nicht geht. Und vor allem auch, dass es zu keiner wirklichen Erkenntnis der Verhältnisse führen kann, wenn ich mich selbst heraus nehme. Grau und farblos, deprimiert und innerlich reduziert kam ich mittags niedergeschlagen nach Hause.

Ich hatte die Hunde beobachtet, die Atmosphäre im Park, ganz vom hündischen Wesen geprägt, erlebt und bewusst wahrgenommen, mir Notizen gemacht, erste Videos aufgenommen… Ich war selbst ein Teil der Hundewelt geworden. Ein zutiefst deprimierter Zustand hatte mich ergriffen, hoffnungslos, traurig, mit gesenktem Kopf kehrte ich heim und konnte die Depression erst nach ein paar Stunden wieder abschütteln.

Was war geschehen, wie war dies erklärbar? Intuitiv wusste ich, dass es so nicht geht, mich selbst als Mensch wegzuradieren und den Hunden vollständig das Feld zu überlassen. Reflektierend über diese Erfahrung wurde mir deutlich, dass bereits meine reine Anwesenheit als Mensch für die Hunde einen Wert haben könnte. Die Traurigkeit in ihren Seelen schien im Zusammenhang mit der Situation zu stehen, in der sie sind: Ausgesondert aus der Welt des Menschen.

Dadurch, dass die beobachteten Hunde ohne Besitzer sind, fehlt ihnen etwas, das für unsere Haus- und Arbeitshunde so charakteristisch ist: Die nahe Verbindung zu einem Menschen. Genauer gesagt, aus der Sicht des Hundes gesprochen, fehlt ihnen das Sich-Zugehörig-Fühlen zu bestimmten Menschen oder mehr allgemein gesprochen zur „Welt des Menschen“. Sie befinden sich in einem für den Hund untypischen Zustand des Zurück-Geworfen-Seins auf sich selbst, auf ihr Hund-Sein ohne Mensch.

Natürlich gibt es Menschen im Tierheim die sich einfühlsam um die insgesamt circa 40 Hunde aller Rassen (vor allem auch Nicht-Rassen) kümmern, doch dies ist etwas anderes. Die Hunde scheinen sehr genau den subtilen Unterschied von persönlicher Zugehörigkeit zu einem „versorgt werden“ zu spüren und sich ihres Mangels bewusst zu sein. Vor allem jene, die das Leben in Verbindung mit Menschen bereits kennengelernt haben, scheinen in besonderem Maße trotz guter Versorgung unter ihrer Situation zu leiden.

Zwei Hunde in der beobachteten Gruppe hatten diesbezüglich einen besonderen Status: Shiro und Trudi. Shiro, weil er als Welpe mit seinen Geschwistern aus dem Süden Italiens in den Norden transportiert wurde, wobei seine Lebenserfahrungen distanziert vom Menschen blieben, und Trudi, die nicht zum Tierheim, sondern zu Angestellten des Tierheims gehört. Mir wurde bereits ziemlich zu Beginn meiner Studie deutlich, dass Trudi sich innerlich mehr mit „ihren Menschen“, als mit den im Gehege anwesenden Hunden verbunden fühlt. Hunde scheinen ein tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe, Person, Familie oder einem Kreis zu haben und diesem innerlich treu zu sein. Es sind soziale Wesen, die von Natur aus in Gruppen leben.

Trudi jedenfalls fühlte sich im Park des Tierheims meiner Beobachtung nach nicht „zu Hause“ sondern mehr wie „zu Besuch“. Andere an diesem Projekt beteiligte Hunde-Protagonisten gehören im Gegensatz zu ihr zu den „Veteranen“ des Tierheims, da sie bereits Jahre hier sind und keine andere „Zugehörigkeit“ haben als diese. Nach meiner Einschätzung – die sich auf „einfühlsamer Beobachtung“ gründet (1) – waren die Tierheim-Veteranen spürbar mehr in den Gruppenverband eingegliedert als Trudi. Sogar der taube Pepe, als Einzelgänger und Eigenbrötler bekannt, schien mehr integriert in der Gruppe zu sein, als die freundliche, aufgeweckte und anderen Hunden gegenüber sozialfähige Trudi.

Shiro bildete im Gegensatz zu ihr eine Art Zentrum innerhalb der Gruppe, sich offensichtlich vollständig mit dieser verbunden fühlend. Er war ständig damit beschäftig mit anderen Gruppenmitgliedern zu kommunizieren und zu interagieren, wie einige Videos zeigen. Für ihn gibt es offensichtlich kein anderes zu Hause als dieses. Von uns Menschen erwartet er nichts Gutes. Er ist der einzige nicht kastrierte Hund im Tierheim, da man ihm ohne Gewaltanwendung oder Betäubung nicht einmal ein Halsband anlegen kann. Meinen Beobachtungen zu Folge hat seine Anwesenheit im Gehege einen bedeutsamen Wert für die anderen Hunde, da er ordnend, verbindend und heilsam, beinahe wie ein Therapeut fortwährend unter ihnen tätig ist. Dies behaupte ich aufgrund meiner Beobachtungen, welche ich im Folgenden genauer darstellen möchte.

Das nun folgende Protokoll beinhaltet nicht nur was meine Augen sahen und die Ohren hörten, sondern auch, welche Erkenntnisse und Lernschritte in mir selbst während der insgesamt 15 Beobachtungstage eintraten, da ich als Person unausweichlich Teil des Geschehens war.

Beitrag wird aktuell bearbeitet…

Erika Stolze

(1) Die „einfühlsame Beobachtung“ benötigt unter anderem die Fähigkeit zwischen dem, was vom Objekt selbst kommt und eigenen Projektionen, die unbewusst auf das Objekt gestülpt werden, zu unterscheiden.

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