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Meditation im Alltag

…entspricht einer Art von Erwachen in sensibler Berührung, sowohl nach innen als auch zu den Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen in der Außenwelt. Es ist eine Berührung zwischen der Welt und uns selbst, aber auch zwischen Himmel und Erde, die durch uns hervorgerufen wird, könnte man sagen. Am Computerbildschirm ist dies sicher nicht möglich. Suchen wir in der Meditation nicht in Wahrheit Begegnung, Berührung und seelisch-geistiges Gewahrsein anstelle einer „Leere“? Gleichzeitig haben wir aber scheinbar auch genau davor große Angst.

Früher mußte sich der Geist-Suchende von der Außenwelt absondern, um in Kontakt mit den höheren Welten zu gelangen. Der Yogin zog sich zur Meditation in die Einsamkeit einer Berghöhle zurück. In der westlichen Welt ging der spirituell Suchende in ein Kloster, an einen ruhigen Ort oder in die Natur.

Wie wäre es nun, wenn wir einen Ruhepol inmitten aller weltlichen Turbulenzen bilden könnten? Dies würde einen Zustand oder Vorgang darstellen, der nicht nur der eigenen Gesundheit förderlich wäre, sondern auch der Atmosphäre im Umkreis beruhigend und ordnend zugute käme. Der Mensch selbst wäre der aktive Pol darin, in welchem sich Himmel und Erde begegnen. Lichtkräfte kämen so zu ihrer Ausstrahlung und Wirksamkeit. Das Fehlen dieser können wir gegenwärtig in der Außenwelt in vielerlei grotesken Erscheinungsformen beobachten. Destruktive Mächte machen sich mit hässlichen, angsterweckenden und entfremdeten Bildern breit. Der Mensch ist deshalb dringlichst aufgefordert, jene lichtvollen Kräfte zu entdecken und sie, mitten im Alltag stehend, nutzbringend für alle zu erwecken.

Man könnte somit die „Meditation im Alltag“ auch als einen Licht hervorbringenden Vorgang bezeichnen, welcher durch den menschlichen Geist mit Hilfe des Bewusstseins möglich ist. Rudolf Steiner (1) und Heinz Grill (2), zwei Geisteswissenschaftler der Gegenwart, sprechen von einem „Licht-Seelen-Prozess“ (3) ,der entwickelt werden kann und auch müsste, wenn die negativen und zerstörerischen Kräfte nicht die Führung übernehmen sollen. Doch worum handelt es sich dabei?

Sowohl Schmetterling als auch Blüte gelten als ein Symbol für Ästhetik und im Licht wirksame Kräfte
Nachtfalter

Dem rein materiell ausgerichteten Intellekt kann auf schnelle Weise keine zufriedenstellende Antwort auf diese, sicherlich interessante, Frage gegeben werden. Es handelt sich bei der Geistesforschung um eine Erfahrungswissenschaft, das heißt um etwas, das in der Erfahrung nachvollzogen werden kann und auf diesem Weg die Berechtigung oder Relevanz der Angelegenheit belegt wird. Wenn etwas von jedem Menschen auf ähnliche Weise nachvollzogen und erlebt werden kann, würde ich es als wissenschaftlich relevant und tatsächlich existent bezeichnen.

Für die Meditation im Alltag benötigen wir einen sogenannten „inspirativen Gedanken“, einen Gedanken, der durch seinen Wahrheitsgehalt und seine Ganzheitlichkeit unser Bewusstsein aus dem Begrenzung der Identifikation mit dem Körper und der sicht- und tastbaren Materie herausheben kann. „Ich bin nicht der Körper.“ Wie fühlt es sich an, dies zu denken? Vermutlich wird diese Vorstellung zuerst einmal widersprüchliche Gefühle verursachen. Und doch scheint dieser Gedanke der Realität eher zu entsprechen als unsere übliche Vorstellung der Identifikation mit dem Körper. Ich kann sagen: „Die Einzigartigkeit meines Wesens kommt durch den Körper zum Ausdruck“ oder: „Ich habe einen Körper zur Verfügung und kann mit diesem in der Welt handeln“ usw., aber nicht „Ich bin der Körper“ in dem Sinne, das meine Existenz auf diesen begrenzt ist. Der innere Wahrheitsgehalt einer Aussage ist dasjenige, was erhebend und befreiend auf die Seele wirkt.

Die Seele erweitert ihren Horizont, je nachdem welche Vorstellungen wir tätigen. Vorstellungen und Bilder erzeugen in der Folge immer auch ein Gefühl. Wenn sich das Bewusstsein mit dem Körper identifiziert, so fühlt es sich eng an. Der Atem wird beispielsweise schwerer und auch das Bewegungsleben unterliegt mehr der Schwere. Beim Praktizieren von Yoga-Körperübungen können wir diese Erfahrungen machen, indem wir die Wirkungen unserer bewusst getätigten Vorstellungen beobachten. Ein und dieselbe Übung kann als mühselig und schwer erlebt oder auch als relativ leicht und getragen werden, je nachdem welche Vorstellungen und Gedanken wir beim Üben pflegen.

Das menschliche Bewusstsein identifiziert sich in der Regel mit der Materie und dem Körper und lässt nichts anderes gelten. Im „Neuen Yogawillen“ (siehe auch Fußnote 2 und 3) wird dieser Zustand als „körpergebunden“ bezeichnet. Er steht der Erfahrung eines frei beweglichen Bewusstseins gegenüber.

Die Seelenübung der „Konzentration“ (4) in der Sitzhaltung am Boden oder auf einem Stuhl kann als Hinführung zur „Meditation im Alltag“ dienen, da anhand dieser regelmäßig ausgeführten Übung das Bewusstsein gestärkt und auf gezielte Weise trainiert wird. Auf diese Weise lernt der oder die Übende die lichtgebende Kraft von zum Leben erweckten, wahren Gedanken in der Erfahrung kennen. Die Frucht dieses Übens wird unweigerlich auch in den Alltag Einzug halten, da die gepflegten Gedanken das Leben mit Lichtkräften bereichern und uns, gemäß ihres Inhaltes aus sich selbst heraus, zur gewünschten Realisierung motivieren.

Übung „die Konzentration“: der Körper ruht, das Bewusstsein ist wach und auf einen inspirativen Gedanken ausgerichtet

Im Idealfall sollte die „Meditation im Alltag“ zu einer intensiveren Nähe und Berührung zu den Mitmenschen, Tieren, Pflanzen und Dingen in unserem Umfeld führen. Das Bewusstsein wird freier von sich selbst, könnte man beinahe sagen, von Sorgen, Wünschen und Ängsten. Freier wird es ebenfalls von all dem, was uns bindet, von Konditionierungen und Ansprüchen jeder Art. Durch seine freie Beweglichkeit kann die Seele oder das Bewusstsein die Welt um sich her unmittelbarer erfahren und zart von ihr berührt werden, wie der Schmetterling auf der roten Blüte. Wer berührt hier eigentlich wen?

Christine Richter

(1) Rudolf Steiner (1861-1925), Begründer der Anthroposophie www.rudolf-steiner-anthroposophie.de

(2) Heinz Grill (geb. 1960), Begründer des „Yoga aus der Reinheit der Seele“ auch „Neuer Yogawille“ oder „Neue Yogaempfindung“ genannt www.heinz-grill.de

(3) Zum Lichtseelenprozess, Zitat aus AnthroWiki (vom 24.4.2021):

Die Notwendigkeit eines „Neuen Yogawillen“ aufgrund des Wandels von Zeit und Bewusstsein

Der Begriff „Neuer Yogawille“ wurde von Rudolf Steiner erstmals geprägt. Er benennt und beschreibt diesen in einem Vortrag vom 30. November 1919[1], in welchem er eine Unterscheidung und Abgrenzung zur alten Yoga-Kultur schaffen wollte. Rudolf Steiner führt in diesem Vortrag aus, wie sich das Bewusstsein des Menschen über die Jahrtausende von einem natürlichen Einheitsempfinden mit der geistigen Welt hinweg entwickelt hat, indem zunehmend ein Bewusstsein für die Materie entstanden ist. Im Laufe dieser Entwicklung bemerkte der Mensch, wie er zunehmend den Zusammenhang zur geistigen Welt verlor und entwickelte deshalb Yoga-Techniken, die dazu dienen sollten, die Verbindung zur geistigen Welt wieder herzustellen. In jener Zeit war noch ein Restempfinden davon vorhanden, dass im Atem Seele lebte und es deshalb möglich war, sich über den Atem mit der geistigen Welt zu verbinden. Zu diesem Zwecke wurden unter anderem Atemtechniken wie Pranayama entwickelt. Rudolf Steiner sprach in dem Zusammenhang vom Luftseelenprozess.

Der „Luftseelenprozess“ wurde laut den geisteswissenschaftlichen Forschungen Rudolf Steiners mit dem Ereignis von Golgatha zur Zeitenwende vom „Lichtseelenprozess“ abgelöst. Dieser Vorgang stellte eine einschneidende Veränderung dar. Nicht nur das Bewusstsein des Menschen hat sich seither verändert, sondern auch die Substanz der Luft selbst, sie ist materieller geworden und die Seele ging weitestgehend aus der Luft verloren, wie Rudolf Steiner in seinen geistigen Forschungen beschreibt. Stattdessen lebt die Seele nach seinen Aussagen nun auf geheimnisvolle Weise im Licht.

„Es gab eine Zeit vor dem Mysterium von Golgatha, da hatte die Erde eine Atmosphäre. In dieser Atmosphäre war die Seele, die zum Seelischen des Menschen gehörte. Jetzt hat die Erde eine Atmosphäre, die ist entleert des Seelischen, das zum Seelischen des Menschen gehört. Dafür ist in das Licht, das uns vom Morgen bis zum Abend umfasst, eingezogen dasselbe Seelische, das vorher in der Luft war. Daß der Christus sich mit der Erde verbunden hat, das gab die Möglichkeit dazu. So daß Luft und Licht auch geistig-seelisch etwas anderes geworden sind im Laufe der Erdenentwickelung.“[2]

Dies bedeutet für den Menschen, dass er auch ganz neue Wege beschreiten muss, um diese Seele nun im Licht zu entdecken.

Die alten Wege sind hierfür nicht mehr geeignet. Es ist nach den Beschreibungen von Rudolf Steiner notwendig, eine objektive Sinneswahrnehmung mit einer gedanklichen Aktivität zu schulen. Damit kann der Lichtseelenprozess angeregt werden. Die alte Yoga-Kultur ist deshalb für den heutigen Menschen nicht mehr geeignet, da sie von den früheren Gegebenheiten des Luftseelenprozesses ausgeht, die heute in dieser Form nicht mehr bestehen. Rudolf Steiner spricht davon, dass es sich bei den alten Yogatechniken um atavistische Formen handelt, die den Menschen in der Entwicklung nicht vorwärts, sondern rückwärts führen. Aus diesem Grunde rät er vom Yoga ab und spricht von der Notwendigkeit eines „Neuen Yogawillen“, der die heutigen Gegebenheiten mit dem Lichtseelenprozess berücksichtigt.

(4) Die Seelenübung der „Konzentration“ wird in dem Buch „Übungen für die Seele“ von Heinz Grill, erschienen im Synergia Verlag, näher beschrieben.

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